Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom

Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom (Plasmozytom, Morbus Kahler)
Online-Netzwerk für Patienten/-innen und Angehörige

Woran sterben MM-Kranke eigentlich?

Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
22 Nov 2010 20:29
  • Margret
Liebe Edith,

die widerstreitenden Gefühle beim Patienten und den Angehörigen sind normal und angesichts einer unnormalen Lebenssituation nicht nur verständlich, sondern wahrscheinlich sogar hilfreich bei der Bewältigung.

Wer hätte nicht schon den Wunsch gehabt, einfach alles stehen und liegen zu lassen und möglichst weit wegzulaufen? Wenn "weglaufen" die Diagnose ungeschehen gemacht hätte, dann wären wir gelaufen, egal wohin, egal wie weit... Natürlich ist der von dir beschriebene hochgeklappte Toilettendeckel angesichts einer Krebserkrankung einfach albern. Aber wir sind nun mal nur Menschen und haben allesamt so unsere Mängel - verlange bitte nicht zu viel von dir selbst! Weil dein Partner krank ist, ist er nicht automatisch jeder Kritik enthoben und ab sofort unantastbar... :wink:

Mein Mann hatte oft ein schlechtes Gewissen, weil - wie er meinte - ich durch seine Krankheit zu viel Schönes im Leben versäumen würde. Ich hingegen hatte ein schlechten Gewissen, wenn ich sah, dass es ihm schlecht ging, während ich vor Gesundheit, Unternehmungslust und Lebenskraft strotzte. Das ist ein heftiges Chaos der Emotionen und die einzige Möglichkeit, damit fertig zu werden, besteht in offenen und ehrlichen Gesprächen. Ich kann nicht beurteilen, ob man diese Gesprächsfähigkeit in der Krankheitsphase noch erlernen kann. Wir konnten schon immer über alles miteinander reden - auch und besonders, wenn wir nicht einer Meinung waren, notfalls gepflegte Streitkultur inklusive. . Das hat uns in der schwierigen Krankheitsphase sehr geholfen. Dass mein Mann trotzdem vieles "mit sich selbst ausgemacht" hat um mich nicht weiter zu belasten, halte ich aber für wahrscheinlich. (Männer scheinen sich ohnehin mit dem Eingeständnis, nicht "groß und stark" zu sein, etwas schwerer zu tun und schneller ein angeknackstes Selbstwertgefühl zu haben... :roll:)

Ich will nun aber nicht den Eindruck erwecken, wir hätten jahrelang nur noch gemeinsam das Schicksal beklagend und Händchen haltend auf dem Sofa gesessen! Wir hatten immer wieder auch gute Phasen in denen das Leben beinahe wieder normal war und wir das, was eben möglich war, gemeinsam unternommen haben. Selbst in den letzten Tagen haben wir miteinander gelacht und waren herrlich un-erwachsen albern.

Liebe Marion,

zum Prozess des Sterbens kann ich nur meine begrenzte Erfahrung beitragen. Das Sterben scheint - so die Experten - ein sehr individueller Prozess zu sein.

Dass du den Wunsch hegst, in dieser Situation "einfach abzuhauen und es allein durchzuziehen" ist ein interessanter und auch verständlicher Gedanke, aber pure Theorie. Stell dir die Situation deiner armen Angehörigen vor, die nicht wissen, wie es dir geht und tagelang wie paralysiert auf das Telefon starren, um auf eine Todesnachricht zu warten. Das ist entsetzlich und nicht zu ertragen!

Ich beschäftige mich aktuell aktiv mit allen Fragen rund um Trauerbegleitung, Trauerbewältigung, Trauergruppen, etc. Immer wieder schildern Angehörige, dass sie besonders darunter leiden, nicht da gewesen zu sein, als ihr Liebstes starb. Das Trauma des Dabeiseins hingegen scheint eher überwindbar zu sein - was ich auch bei mir feststelle. Aber der Gedanke, einen geliebten Menschen in der schwierigsten Stunde seines Lebens allein zu lassen, ist schier unerträglich. Die Erinnerung an das Erleben verblasst schneller, als das (zumeist unbegründete) schlechte Gewissen, diesen Augenblick für immer und unumkehrbar versäumt zu haben.

Und: Nein, die Lücke ist noch groß und tief. Das ist auch gut so - es war ja auch eine große, tiefe Liebe und jede Träne wert...


Liebe Beatrice,

zu Palliativstationen/Hospizen hatte ich - wie die meisten Menschen - eine falsche Vorstellung, Denkrichtung "abgeschoben zum Sterben". Ich habe das Gegenteil erlebt!

Die intensive Begleitung und Betreuung dort durch speziell geschulte Mitarbeiter ist auf einer normalen Krankenhausstation gar nicht möglich und je nach Art der körperlichen Einschränkungen auch im eigenen Zuhause nicht darstellbar. Die Pflegekräfte haben mir die Grundversorgung meines Mannes abgenommen, so dass ich Kraft und Zeit hatte, für die noch verbleibenden schönen Dinge in der gemeinsamen Zeit. Man darf auch die rein physische Belastung durch die Pflege eines Schwerkranken nicht unterschätzen - einen erwachsenen Mann mit 80-90 Kilo Gewicht im Bett zu drehen, zu waschen, Toilettengänge etc. ist kaum zu leisten. Hinzu kommt, dass auf Palliativstationen durch Spezialisten eine passende Schmerztherapie geleistet werden kann, was für die verbleibende Lebensqualität unbedingt notwendig ist.

Normalerweise können die Angehörigen jederzeit auf der Palliativstation übernachten und werden auf Wunsch verpflegt, was uns noch den einen oder anderen schönen DVD-Abend mit herrlich ungesunden Chips und sündhafter Schokolade ermöglicht hat. Es war dann fast wie Zuhause... jedenfalls ein bißchen... und es hat uns sehr gut getan!


Euch allen liebe Grüße und von Herzen alle guten Wünsche,
Margret










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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
23 Nov 2010 17:49
  • Caro
  • 683 Beiträge seit
    23. Okt 2009
Liebe Margret,

erstmal will ich Dir sagen, wie froh ich bin, dass Du Dich wieder im Forum gemeldet hast. Ich hatte so lange von Dir nichts mehr gelesen, dass ich schon dachte, dass Du Dich vielleicht doch von uns verabschiedet hast. Und danke auch für Deinen Beitrag. Wie Du vielleicht mitbekommen hast, ist das MM bei meinem LG auch immer wieder aktiv, so dass ich mich schon manchmal frage - wie wird das sein, wenn es dann irgendwann einmal zu Ende geht. Da hat mir dein Bericht schon sehr geholfen. Ich weiß wohl, dass es bei jedem anders sein wird, aber ich habe noch nichts so konkretes darüber gelesen. Vielen Dank nochmal dafür.

Dir wünsche ich viel Kraft die nächste Zeit zu überstehen, Weihnachten ist wohl für alle in deiner Situation ein kritischer Termin - aber Du schaffst das bestimmt. Ich habe immer deine Stärke, Deinen Mut und vor allem auch deinen Humor bewundert.

Viele liebe Grüße

Caro

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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
23 Nov 2010 19:45
  • rudi
  • rudis Avatar
  • 2203 Beiträge seit
    22. Okt 2009
Hallo,
diese Gedanken sollten vorwiegend für die refraktäre Phase der Krankheit unbedingt swhr wichtig sein und da benötigt wohl jeder Patient den Beistand und die Hilfe von Angehörigen.

Bei mir ist es immer noch nicht so weit und ich habe bisher über 11 Jahre mein multiples Myelom völlig alleine durchgezogen und die Angehörigen nur am Rande damit bedrückt.
Ich war bis Heute nach 11 Jahren noch nie mit einem Angehörigen zu einem einzigen Arzttermin, Nachsorgetermin und habe auch alle Krankenhausbesuche (Therapien wie jetzt aktuell) völlig alleine durchgezogen, ohne einen einzigen Besuch gehabt zu haben.

Ich gehe hinaus in die Ferne um den Kampf gegen die Krankheit zu kämpfen und ich habe ein 700 km entferntes Ziel (meine Familie) die ich unbedingt wieder sehen und erreichen möchte.
Dieses weg von Zuhause sein und unbedingt da wieder zurückkehren zu wollen und wieder einige Zeit miteinander zu verbringen, die gibt einem fast "übernatürliche Kräfte".

Natürlich ist das alles vorbei, wenn ich mal im Rollstuhl sitze und ein halber oder ganzer Pflegefall bin. Dann muß ich ins nächste Spital am Gardasee in Palliativbeghandlung und dann wird es auch schnell gehen, weil ich keinen "Kämpergeist" mehr haben werde. Und dann wird auch meine Familie das volle Disastro und die Brutälität dieser Krankheit im Endstadium voll miterleben.
Aber ich werde mich bemühen keinen lange leiden zu lassen.
Das Leben muß für die anderen weitergehen. Ich bin nur ein Staubkorn auf dieser Welt und die Welt wird sich ohne mich weiterdrehen wie vorher auch.
Jetzt habe ich noch die Lebensseite vor mir und noch nicht die Sterbensseite und da halte ich meine Angehörigen immer noch so gut es geht heraus und mache alles alleine.


Heilung ist ein individueller Prozess, der sehr stark an das persönliche Bewusstsein gebunden ist. Daher kann kein Mensch einen anderen Menschen heilen sondern immer nur auf dem Weg zu seiner persönlichen Heilung begleiten.

rudiversal.wordpress.com

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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
24 Nov 2010 10:22
  • GiselaKöenig
  • 378 Beiträge seit
    26. Okt 2009
Lieber Rudi,

erstmal einen lieben Gruß nach Würzburg und alles Gute für die weitere Therapie.
Gegen das "Spucken" hilft Zofran, 8mg ganz gut,hat mir mein Onkologe verschrieben, die Klinik (Heidelberg) hatte andere Mittel (die waren billiger), haben aber lange nicht so gut geholfen.

Dein oben geschriebener Beitrag macht mich sehr nachdenklich und sehr traurig. Natürlich will man seine Umwelt nicht so sehr belasten, aber der Mensch ist ein "Rudeltier" und braucht daher andere Menschen!!!!!!!!!! (Auch wenn man es nicht wahr haben möchte).
Meiner Meinung nach gehört es doch gerade zu einer guten Partnerschaft, dass man sich um den Anderen kümmert. Wie heißt es denn so schön... In guten wie in schlechten Zeiten..........

Als ich damals die Diagnose erfahren habe, gab es natürlich auch die Gedanken, ja keinem zur Last fallen, kann man das seinem Partner zumuten diese schwere Zeit mit durchzumachen? Rückblickend muß ich sagen, ohne die große Unterstützung meines Mannes hätte ich es sicherlich nicht durchgestanden. O.k., jeder Mensch ist anderes, aber meinst du es wird für deine Familie einfacher wenn diese erst in der "Endphase" das volle Disastro und die Brutalität dieser Krankheit voll miterleben?
Hochachtung vor dir bei der Einstellung "ich werde mich bemühen keinen lange leiden zu lassen".............das will sicherlich jeder, aber hat eine Familie oder der Partner nicht auch das Recht, Zeit zu haben, sich mit der Situation auseinander zu setzen und an dem Leben des Anderen teil zu nehmen? ........................
Mein Mann würde es sicherlich als Vertrauensbruch sehen. Ich umgekehrt allerdings auch.
Rudi, du hast auch sicherlich recht, wenn du sagst, das Leben geht weiter, die Welt dreht sich weiter usw..................aber sie dreht sich anders weiter. Auch wenn du dich als Staubkorn bezeichnest, das Staubkorn fehlt aber dann............... und sei es noch so klein...es fehlt...................

Da die Therapie bei dir sicherlich gut anschlagen wird, bekommst du ja die Gelegenheit dir noch viele Gedanken über das Thema zu machen......................und das ist auch gut so!!!!!!!!!!

Für mich ist der Austausch mit dem Partner sehr wichtig, es gibt mir Halt, das Gefühl der Geborgenheit und die Kraft die man braucht um alles zu überstehen. Gemeinsam geht alles leichter. Wie heißt es so schön, "geteiltes Leid ist halbes Leid".

Viele Grüße

Gisela

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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
24 Nov 2010 13:00
  • Margret
... Aus Sicht eines Angehörigen ...

Ja, wir alle sind letztlich nur Staubkörner im Universum. Aber wir leben und lieben als Individuen und sind daher unendlich wichtig füreinander. Die "Staubkorn"-Erkenntnis macht den Schmerz des Abschieds nicht geringer und dass die Welt sich unverändert weiter dreht, mildet nicht die tiefe Leere nach dem Tod eines geliebten Menschen. Ich bin nicht das Universum, ich bin ein fühlender Mensch.

Man liest es häufig in Todesanzeigen
"Für die ganz Welt warst du nur irgendjemand.
Für mich warst du die ganze Welt."
Genau so ist es!

Ich habe unter der Erkrankung meines Mannes und allen damit verbundenen Belastungen inklusive der letzten Tage bei weiten nicht so gelitten, wie darunter, dass er nicht mehr bei mir ist. Erst die Tatsache, dass wir den langen und schwierigen Weg gemeinsam gegangen sind, macht den Abschied für mich überhaupt erträglich.

Wie man eine solch einscheidende Erkrankung nebst Behandlungen und deren Nebenwirkungen vor seinen Angehörigen irgendwie "geheim" halten will, ist mir vollkommen unverständlich. Die Familie hat ja die Möglichkeit, sich beispielsweise via Internet umfangreich zu informieren. Für mich gäbe es nichts Schlimmeres, als Ungewissheit und das Gefühl, dass ich nicht die ganze Wahrheit kenne. Das hätte auch etwas mit dem Thema "Vertrauen" zu tun.

Aber da mag jeder seinen Weg finden... und gehen...

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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
24 Nov 2010 13:01
  • Caro
  • 683 Beiträge seit
    23. Okt 2009
Hallo Rudi,

Deine Einstellung in Ehren, aber ich möchte meinem LG schon auf allen Wegen zur Seite stehen. Er ist zwar auch ein eher verschlossener Mensch, was seine tieferen Gefühle betrifft, aber ich glaube schon, dass er auch froh ist, dass ich mich mit seiner Krankheit beschäftige. Ich habe durch die Foren (Hier und Beacon) schon so einiges an verwendbarem Wissen erlangt. Er lehnt es weitgehend ab, sich mit der Krankheit zu beschäftigen und möchte auch keinen Kontakt mit anderen MMlern. Daher kommen wir auch nie zu irgendwelchen Treffen.
Ich als Angehörige stehe ohnehin schon relativ hilflos daneben, wenn es ihm schlecht geht - aber ausgeschlossen werden - nein auf keinen Fall. Wenn Deine Familie das so akzeptiert ist das natürlich völlig in Ordnung. Aber für mich ist Partnerschaft und Liebe etwas, wo man durch dick und dünn zusammensteht.
So sind die Menschen halt verschieden.

Liebe Grüße und guten Erfolg und wenig Nebenwirkungen bei deiner Therapie

Caro

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