Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom

Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom (Plasmozytom, Morbus Kahler)
Online-Netzwerk für Patienten/-innen und Angehörige

3,5 Jahre Hoffen und Bangen

Betreff: 3,5 Jahre Hoffen und Bangen
24 Jul 2021 22:55
  • Heike-Zi
  • 249 Beiträge seit
    17. Jul 2018
Nun schreibe ich leider auch unter die Rubrik " Abschied nehmen".

Mein Mann bekam die Diagnose "Multiples Myelom" im März 2018 nachdem er plötzlich ab Dezember 2017 extremste Rückenschmerzen bekam.
Die Rückenschmerzen führte man anfangs auf ein Bandscheibenproblem zurück.
Es war ein Schock für uns, als dann die richtige Diagnose gestellt wurde.
Das komplette Leben wurde auf den Kopf gestellt. Von nun an hatte ich täglich große Angst um meinen geliebten Ehemann.

Er bekam eine Induktionstherapie mit 5 Zyklen VCD, die ihm eine serologische Komplettremission bescherte.
Im September dann schließlich die Autologe Stammzellentransplantation mit dem Ergebnis CR.
Das Jahr 2018 war von Therapien geprägt. Von der Hochdosis erholte er sich erst langsam nach seiner Reha kurz vor Weihnachten 2018.
Wir freuten uns auf 2019 und hofften auf eine sehr lange Remission.

Ab Mai 2019 konnte mein Mann erst wieder seine Arbeit aufnehmen und es stellte sich wieder so etwas wie Normalität ein.
Meine Angst vor der Krankheit war aber leider nach wie vor allgegenwärtig.
Unser Urlaub im September 2019 mussten wir leider abbrechen, da mein Mann
wie aus heiterem Himmel plötzlich extreme Schmerzen im Brustbereich bekam.
Die Ärzte diagnostizierten eine Lungenembolie und eine Lungenentzündung. Er bekam AB und Eliquis, aber irgendwie wurde es nicht besser und die Leichtketten stiegen auch wieder. 
...da war es leider schon, das 1. Rezidiv.
Es wurde ab November 2019 mit insgesamt 7 Zyklen DRd behandelt. Diese Therapie vertrug mein Mann relativ gut.
Im Sept. 2020 bekam mein Mann plötzlich sehr hohes Fieber (über 41 Grad) und Schüttelfrost.
Ich musste ihn in die Notaufnahme bringen.
Er bekam Unmengen an Antibiotika, die aber wenig Wirkung zeigten.
Eine erneute Knochenmarkpunktion ergab eine hochgradige Myelominfiltration.
Die Therapie wurde von Oktober bis Dezember auf Kd umgestellt. Er bekam 4 Zyklen obwohl sich keine wirkliche Besserung einstellte.

An Silvester 2020 ging es meinem Mann dann so schlecht, dass ich dachte, dass er mir unter den Fingern verstirbt. Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust und starkes Nasenbluten stellten sich ein. Ich nahm Kontakt mit Prof. Dr. Einsele von der Uniklinik Würzburg auf und bekam umgehend einen Termin für den 4. Januar 2021.
In der Uniklinik Würzburg stellte man fest, dass mein Mann nun auch noch eine (sekundäre) Plasmazellleukämie entwickelt hatte, was die Prognose verschlechterte.
Er bekam einen Dexamethasonstoß, einen Zyklus PAD ergänzt zu VTD PACE und viele Thrombozythen- und Erythrozytenkonzentrate.

Am 27. Januar konnte mein Mann bis zum nächsten Termin in Würzburg aus der Klinik entlassen werden, es ging ihm wesentlich besser, wir waren überglücklich.

Am nächsten Tag ging mein Mann zur Arbeit  um Erholungsurlaub bis zur nächsten stationären Aufnahme in Würzburg zu beantragen.
Er hatte noch sehr viele Tage Resturlaub und wollte durch den Urlaub eine Aussteuerung vermeiden, denn die Lohnfortzahlung endete in wenigen Wochen und das Krankengeld war aufgebraucht.
Er stellte einen Urlaubsantrag, sagte es seinem Abteilungsleiter und fuhr nach Hause. Was er nicht wusste ist, dass der Abteilungsleiter den Urlaub nicht genehmigen würde.

Er wurde von der Personalabteilung angerufen und wieder ins Büro geordert, ansonsten wäre es Arbeitsverweigerung. Er könnte den Urlaub nicht einfach nehmen, wie er wolle und solle sich an den vereinbarten  Urlaubsplan vom November halten. Er fuhr also wieder ins Büro (in Coronazeiten) um dort gesagt zu bekommen, dass er arbeiten soll. Am nächsten Tag durfte er Urlaub machen, da er nach dem Urlaubsplan vom November freitags immer frei hatte.

Wir waren erschüttert über dieses menschenunwürdige Verhalten. Ich befürchte, dass diese Stresssituation den Krankheitsprogess noch angefeuert hat. Gesund war es auf jeden Fall nicht, die Enttäuschung bei meinem Mann und bei mir saß tief.

Zum Verständnis, wir reden hier von einem Unternehmen, das 800 Mitarbeiter hat.
Mein Mann arbeitete zuverlässig bis zu seiner Krankheit seit 28 Jahren dort. Leider kam es aber in 2019 zu einer Fusion und ab da änderte  sich leider auch der Umgang mit den Mitarbeitern. Kranke Mitarbeiter können keine volle Leistung bringen, also für das Unternehmen unrentabel.

Ich hatte einen Brief an den Vorstandsvorsitzenden geschrieben und ihm unsere Situation und das Verhalten der Personalabteilung mitgeteilt.
Das Verhalten der Personalabteilung wurde lediglich als etwas holprig bezeichnet.

Ich hatte so sehr gehofft, dass sich jemand bei meinem Mann für dieses unverschämte Verhalten entschuldigen würde, aber das hielt wohl keiner für notwendig und jetzt ist er tot.
Der Arbeitgeber hatte auf Zeit "gespielt" und gewonnen, der Urlaub ist verfallen.
Moral und Anstand werden vor Gericht nicht verhandelt.
Wir haben lange gebraucht, um irgendwie mit dieser unnötigen zusätzlichen Belastung fertig zu werden.

Ca. 3 Wochen nach der 1. Behandlung in Würzburg wurde mein Mann erneut stationär dort aufgenommen. Die Myelom- und Plasmazellen hatten sich leider schon wieder stark ausgebreitet und er bekam eine 2. Stammzellentransplantation.
Er hat diese wesentlich besser vertragen als die erste im Sept. 2018.
Wir hatten wieder neue Hoffnung und es ging ihm wieder richtig gut. Wir freuten uns an den ganz kleinen Dingen des Lebens und wir hatten uns, was das allerwichtigste war.

Am 8. April war ein Termin zur Verlaufskontrolle in der Uniklinik Würzburg, wir sind voller Zuversicht hingefahren,  ich durfte leider diesmal nicht mit zum Arztgespräch.
Nach 2 Stunden holte ich meinen Mann wieder ab und er war total eingeknickt.
Ohne, dass irgendwelche Fakten (Blutwerte) auf dem Tisch lagen, sagte man ihm, dass er mit dem Rücken an der Wand stünde und er sich Gedanken über eine Allogene Transplantation machen sollte.

Einige Tage später stellten sich wieder hohes Fieber und Nasenbluten ein, die Blutwerte von Würzburg lagen uns zu dem Zeitpunkt immer noch nicht vor.
Ein Telefonat mit der Uniklinik nahm mir dann von jetzt auf nachher alle Hoffnung. Mein Mann würde nicht mehr lange leben, er hätte alle Therapien durch.
Trotzdem wurde er im Mai 2021 wieder stationär aufgenommen, weil ohne Behandlung ging es irgendwie auch nicht. Gewichtsverlust, starkes Nasenbluten, hohes Fieber, extremer Nachtschweiß...
Wieder 3 Wochen in der Klinik, der Zustand verbesserte sich wieder, aber trotz der starken Chemotherapie waren relativ schnell wieder Plasmazellen im Blut.
Wir sollten uns entscheiden, ob er eine weitere Autologe Stammzellentransplantation über sich ergehen lassen wollte. Er stimmte zu, aber leider kam es nicht mehr dazu.

Es stellten sich zuhause extreme Schmerzen ein, überall und sie ließen sich durch nichts lindern. Im örtlichen Krankenhaus würden sie nichts mehr für ihn tun, also wollten wir irgendwie mit einem Krankenwagen in die Uniklinik Würzburg.

Der Hausarzt meines Mannes stellte einen Beförderungsschein aus, aber das Transportunternehmen weigerte sich ohne Zusage der Krankenkasse 300 km zu fahren.
Auch mein Hinweis, dass ich sofort online überweisen würde, reichte nicht aus.
Die dramatische Situation, die sich bei uns abspielte, bekam auf der anderen Seite des Telefons weder die Krankenkasse, noch das Transportunternehmen mit.
Schließlich sind wir, um keine Zeit zu verlieren, selbst gefahren.
Zumindest konnte man meinem Mann in der Klinik die Schmerzen nehmen und er fühlte sich, wie immer in Würzburg, gut betreut.
Am 10. Juni 2021 ist er für immer  eingeschlafen. Wir hatten bis zuletzt gehofft.

Es waren 3,5 Jahre Hoffen und sehr viel Bangen.
Wir bekamen sehr viele Steine in den Weg gelegt und das Ausmaß der Bürokratie hier in Deutschland zu spüren.
Ich vermisse meinen Ehemann unendlich und es tut so weh.
Er war ein ganz toller, sehr sehr liebenswerter und hilfsbereiter Mensch. Leider bekam er von seinem Arbeitgeber nicht die Fürsorge, die er verdient hätte.

Warum war die Krankheit bei ihm so aggressiv? Wir wollten so gerne zusammen alt werden.

Ich vermisse meinen Mann unendlich und die Situation mit seinem Arbeitgeber belastet mich jetzt noch zusätzlich.
Es waren schwere Zeiten, aber wir hielten zusammen und er war trotz seiner gesundheitlichen Probleme immer für mich da.

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Antwort auf 3,5 Jahre Hoffen und Bangen
24 Jul 2021 23:48
  • LoisLane
  • LoisLanes Avatar
  • 38 Beiträge seit
    16. Mär 2021
Liebe Heike-Zi,

ich bin traurig,dass die zusätzlichen Steine den schon so schwierigen Verlauf der Erkrankung noch steiniger gemacht haben. Ich wünsche dir ganz viel Kraft für alle weiteren Schritte in deinem Leben und sende dir mein Beileid zu dem Verlust deines Ehemanns.

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Antwort auf 3,5 Jahre Hoffen und Bangen
25 Jul 2021 08:55
  • Maggie
  • Maggies Avatar
  • 322 Beiträge seit
    01. Apr 2016
Liebe Heike,
mein herzliches Beileid zum Verlust deines Mannes. Es ist unglaublich, dass ihr zusätzlich zu der riesigen Belastung durch die Krankheit auch noch solche Probleme mit dem Arbeitgeber hattet.
Liebe Grüße Maggie

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Antwort auf 3,5 Jahre Hoffen und Bangen
25 Jul 2021 10:33
  • Mimau
  • Mimaus Avatar
  • 191 Beiträge seit
    15. Okt 2017
Hallo Heike, auch mein Herzliches Beileid. Den Verlust eines geliebten Menschens kann man nicht "schön reden" .
Aber die Aussage " Die Zeit heilt alle Wunden" , da ist meiner Meinung nach was dran.
Wenn es sie auch nicht heilt, so macht es sie sicher erträglicher.
Wichtig ist, gute Menschen um sich herum zu haben.
Was ich irgendwie nicht verstehe, wurde dein Mann nicht krank geschrieben ?
Arbeiten unter diesen Umständen...... dieser Arbeitgeber, der hätte einen schönen Shitstorm verdient meiner Meinung nach.
Willst, kannst du ihn nennen ?

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Antwort auf 3,5 Jahre Hoffen und Bangen
25 Jul 2021 11:02
  • Heike-Zi
  • 249 Beiträge seit
    17. Jul 2018
Als mein Mann letztes Jahr aus der Klinik kam, lag ein Brief der Krankenkasse im Briefkasten. Die Krankenkasse hätte sich vertan, im stünde eigentlich schon seit 4 Monaten kein Krankengeld mehr zu. Daraufhin blieb meinem Mann nichts übrig, als sich umgehend arbeitslos zu melden.

Er wollte aber wieder arbeiten und ist dann 14 Tage später wieder zur Arbeit. Das hat dem Arbeitgeber wohl da schon nicht gefallen und die wollten umgehend ein Attest vom Onkologen, dass er wieder arbeitsfähig sei.
Dieser hat das Attest auch ausgestellt und meinem Mann tat es gut wieder so etwas wie Normalität zu haben. Außerdem hatte er einen Urlaubsplan ausgehandelt, denn es standen ihm ja mittlerweile sehr viele Resturlaubstage und Urlaubstage zu. Leider kam aber dann wieder der Krankheitsausbruch, was ja nicht unbedingt heißt, dass man dann nicht arbeiten kann. Unter der Therapie lässt sich die Krankheit ja "normalerweise" wieder zurückdrängen. Leider kam aber alles ganz anders...
Die hätten eigentlich den Urlaub gewähren müssen, denn es lagen keine betrieblichen Gründe vor das nicht zu tun.
Sie hatten anscheinend sowieso noch nicht mit ihm gerechnet.
...oder sie hätten sagen müssen, sie sehen krank aus und sollten sich krank schreiben lassen...
aber er wurde mittags wieder an seinen Arbeitsplatz diktiert um Macht über ihn auszuüben und ihm zu sagen, dass er arbeiten solle.
Eigentlich hätten wir damals einen Anwalt einschalten sollen, aber die Ereignisse überschlugen sich leider.
Welcher Arbeitgeber das ist, möchte ich jetzt nicht sagen.
Ich hoffe, ich finde einen Weg bzw. eine Institution die sagt, dass sowas niemals passieren darf.
Mein Bild von Menschenwürde in dieser Gesellschaft hat jedenfalls sehr sehr gelitten.

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Antwort auf 3,5 Jahre Hoffen und Bangen
25 Jul 2021 14:29
  • Angelika52
  • Angelika52s Avatar
  • 328 Beiträge seit
    04. Mai 2016
Herzliches Beileid ,viel Kraft und hoffentlich sind viele liebe Menschen an Deiner Seite.

Angelika

Wir sind, was wir denken.
Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken. Mit unseren Gedanken formen wir die Welt. -Buddha -

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