Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom

Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom (Plasmozytom, Morbus Kahler)
Online-Netzwerk für Patienten/-innen und Angehörige

Gebrochen oder nicht?

Betreff: Gebrochen oder nicht?
25 Aug 2011 19:47
  • jürgenk
  • 459 Beiträge seit
    25. Aug 2011
Hallo zusammen

Es ist nicht meine Art, schlechte Nachrichten zu verbreiten. Es gibt genug Schönes zu berichten. Allerdings ist nicht immer alles nur schön.
Etwa als ich vor nun sechs Wochen bei meinem Onkologen die Diagnose kundtat, mir sei sein Brustwirbel gebrochen. Er ließ gleich ein Röntgenbild machen und stellte dabei meinen Irrtum fest. Zunächst zweifelte ich an seiner Feststellung, kurze Zeit später war ich mir sicher, dass er sich irrt. Aber das war egal, diese Brüche können schmerzhaft sein, werden aber in aller Regel nicht behandelt, also beließ ich es bei seiner Diagnose.
Vor drei Wochen auf einem Montag, hatte ich in der Stadt zu tun ging wie gewohnt das Stück. Es bekam mir gar nicht. Mein Gang war sehr unsicher, schon kleine Bordsteinkanten ängstigten mich. Vor dem Betreten einer Apotheke zweifelte ich. Die haben dort eine Stufe und eine automatische Tür, aber kein Geländer. Aber ich ging hinein. Dann bekam ich ein großes Problem, das Geschäft zu verlassen. Durch meinen Schwindel wirkte die automatische Tür irritierend und dann folgte immerhin eine Stufe vergleichbar mit einem Bordstein. Zwei Damen aus der Apotheke sahen meine Not und kamen zur Hilfe, boten gleich zu Beginn einen Anruf bei der Rettung an. Da wurde mir klar, wie erbärmlich mein Zustand sein musste.
Aber ich wiegelte ab, relativierte und erklärte mein Grundproblem mit dem Schwindel, wusste jedoch, dass dies geschwindelt war und kämpfte mit den Tränen. Ich konnte nicht verstehen, wo das Problem war und damit auch keine Lösung finden. Verzweifelung machte sich breit und wurde dabei von Ahnung gefüttert.
Noch einen Weg in der Stadt, das wird schon klappen und einfach machen hat immer geholfen. Es ging gut, mindestens passierte nichts Schlimmes. Aber ich entschloss mich, den nächsten Tag gleich ins KH einzuweisen. Zuvor packte ich meine Tasche und bereitete vor, was man dabei für wichtig hält.
Am Tag darauf fuhr ich mit dem Taxi zum Onkologen. Auch hier erkannte man ohne eine Erklärung von mir den desolaten Zustand. Wieder war das Erschrecken über das Erkennen groß und nur knapp gewann ich bei meinen Erklärungen den Kampf gegen drängende Tränen. Zu trockene Augen halfen mir, meine Verzweifelung zu verstecken.
Man packte mich in einen Rollstuhl und brachte mich in die Notaufnahme des Krankenhauses. Dort machte man gleich ein CT weil ich erneut auf den Bruch eines Brustwirbels verwies. Irrtum, zeigte sich erneut, ein Lendenwirbel sei gebrochen. Die Ärztin zeigte wegen meiner Zweifel den Bereich und ich glaubte ihr nun. Offenbar ordnete ich den Schmerzbereich der Brust zu obwohl dieser noch zur Lende gehörte.
Auf der Station wurde mein Zustand täglich schlechter. Ein Physiotherapheut kam täglich und reduzierte bei jedem Besuch sein Programm. Ich schaffte es einfach nicht mehr. Eine Krankengymnastin machte mit mir ein Gleichgewichtstraining, das war zunächst in Ordnung. Bis ich eindeutig erkennen konnte, dass ich die Kontrolle über die Füße und die Beine verlor. Sie machten einfach was sie wollen, mindestens nicht das, was ich von ihnen verlangte. Als die Dame nach dieser Feststellung erneut zu mir kam, zeigte ich ihr die Veränderung wie schon zuvor meinen Ärzten und Schwestern, die nicht meine leiblichen Schwestern waren. Während der erste Pulk des Personals immerhin Interesse für die Veränderungen zeigte, wirkte die Dame vom Gleichgewichtstraining unbeeindruckt, schien nicht einmal auf die Vorführung des Kontrollverlustes zu schauen. Als sie dann ohne Kommentar mit ihrem Gleichgewichtszirkus begann, war ich sie raus.
Aber ich konnte noch laufen als am Freitag der Neurologe nach mir sah. Erst in der Woche darauf wurde ich am Mittwoch erneut von ihm untersucht, da bereits an den Rollstuhl gebunden. Diesen konnte ich nicht einmal selber besteigen. Man trug mich. Auch der Wechsel vom Rollstuhl auf die Behandlungsliege erfolgte ohne jegliches Zutun von meiner Seite. Die Beine waren nicht mehr zu spüren. Einen Zusammenhang zum Wirbelbruch schloss er aus, das Myelom kam für ihn auch nicht als Ursache in Frage. Eine Vergiftung hielt er für denkbar und glaubte an ein Einweiß. Ups, dachte ich bei mir, die Myelomzellen produzieren ein toxisches Paraprotein. Aber das muss ein Neurologe nicht wissen. Er schien auf der richtigen Fährte zu sein. Mein Onkologe kam und erzählte von den Zweifeln der Göttinger Experten und meinte, nun müssten wir beweisen, dass es nicht von der Wirbelsäule kommt damit ich auf die Neurologische an die Uniklinik verlegt werden kann. Daher sollte erneut ein CT gemacht werden. Das war am Freitag.
Was soll ich sagen. Bei diesem CT sah man drei gebrochen Brustwirbel und einen Tumor der dort ins Nervengewebe drückte.
Wieso sah man den nicht auf den Bildern zuvor? Weil man nur die Lendenwirbel untersucht hat. Da kam man leichter dran.
Suchen unter der Laterne! Ich bin noch immer fassungslos.
Noch am Freitag wurde ich verlegt und operiert.
Auch dabei erlaubte man sich einige Schnitzer die mein Ende in greifbare Nähe brachten. Aber es ging fast gut. Ob ich wieder in mein altes Leben zurück kann steht in den Sternen. Vieles kann ich schon wieder. Aber die Liste der Unbekannten Einflusskriterien ist lang.
Ich arbeite dran.
Das mag sich lesen wie eine unglaubliche Geschichte.
Aber sie kann auch ermutigen. Vertraut auf euer Gefühl, die Ärzte irren oft. Beharrt auf Klärung eurer Bedenken, sie können euer Leben retten. Hier war es wieder knapp, aber auch im elften Jahr der Diagnose ist nicht das MM mein Problem, mit Eigensinn und Anstrengung habe ich zunächst überlebt und es geht immerhin aufwärts.

Euch allen die Besten Wünsche

Jürgen
Auch ja, sonst schreibe ich unter Kuddel57, komme aber hier in Göttingen nicht an meine Verbindungen.

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Antwort auf Gebrochen oder nicht?
25 Aug 2011 20:34
  • dietmar
Hallo Jürgen,

danke für Deinen Bericht. Mich erschüttert er, und ich spüre heftige Wut. Dass doch alle Beteiligten, die offenbar so nachhaltig versagt haben, mit den Ergebnissen Ihres Handelns konfrontiert werden sollten. Vor allem aber wünsche ich Dir, dass Du jetzt die angemessene Behandlung erhältst, und dass die wirkt!!!
LG Dietmar

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Antwort auf Gebrochen oder nicht?
25 Aug 2011 20:39
  • Bille
Oh man Jürgen, das liest sich alles so unwirklich !!
Lass dich niemals unterkriegen !
Ich wünsche dir, dass alles schnell wieder bergauf geht und du wieder fit wirst ! Es ist immer wieder erstaunlich aus welchen Notlagen und Miseren man sich wieder rauspuhlt !! Das macht aber auch Hoffnung !

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Antwort auf Gebrochen oder nicht?
26 Aug 2011 08:19
  • christine
Das ist wirklich unglaublich.....hoffentlich geht es dir bald besser! Ganz liebe Gruesse

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Antwort auf Gebrochen oder nicht?
26 Aug 2011 08:42
  • leopoldi
  • leopoldis Avatar
  • 1172 Beiträge seit
    23. Okt 2009
Lieber Jürgen,

:o scheinbar muss es immer noch eine Steigerung geben ...!? Ich hoff, dass es täglich ein Stück aufwärts geht und Du bald wieder in Deinem alten Leben ankommst.

LGe
Monika

~ Wenn Du meinst auf der Schattenseite zu sein, denk dran - die Erde dreht sich ~

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Antwort auf Gebrochen oder nicht?
27 Aug 2011 11:16
  • carina
Lieber Jürgen,
das macht einen ja echt sprachlos.
Ich finde auch, es sollten alle Beteiligten mal mit den Fakten konfrontiert werden.
Dir jedenfalls wünsche ich, daß du ganz schnell wieder auf die Beine kommst und lass dich weiterhin nicht unterkriegen............
LG Andrea.

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.