Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom

Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom (Plasmozytom, Morbus Kahler)
Online-Netzwerk für Patienten/-innen und Angehörige

Woran sterben MM-Kranke eigentlich?

Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
16 Nov 2010 21:57
  • CuMMinhoefer
  • 67 Beiträge seit
    24. Okt 2009
Liebe Edith,

wir leben seit Dez 2008 mit dem MM meines Mannes. Ich bin ein sehr positiver Mensch, dabei aber auch sehr realitätsnah. Mir persönlich hilft es, möglichst gut vorbereitet zu sein. Und ein Netzwerk aus Ärzten, Therapeuten, sozialen Anlaufstellen aufgebaut zu haben, auf das ich in jeder Problemsituation zurückgreifen kann (die Idee hatte ich hier aus dem Forum: „Wie werde ich guter Patient“; ich bin demzufolge die „Managerin“ in Matthias‘ Team).

Matthias fühlt sich zurzeit - trotz wieder ansteigender Werte - sehr wohl und wir gehen davon aus, noch diverse Therapieoptionen nutzen zu können, -trotzdem haben wir eine Grab-Patenschaft auf unserem Lieblings-Friedhof (zur eigenen Nutzung) übernommen; habe ich mich bereits in meinem dem Wohnort nächsten Hospiz umgesehen; habe ich die Anbieter von häuslicher Krankenpflege im Blick; habe ich die Nummer der Witwengeld berechnenden Stelle in einem Ordner.

Mit diesem Netz bzw. diesem „vorbereitet sein“ fühle ich mich freier. Und genieße unsere gemeinsame Zeit aus vollem Herzen. Und wie Dein Fredi empfinde ich den einen Aspekt des MMs auch tatsächlich als positiv: Wir leben bewusster; trennen Wesentliches viel besser vom Unwesentlichen und sind sehr viel achtsamer miteinander.

Und in 3 Wochen gehen wir auf Kreuzfahrt, juhuuu! Dass es möglicherweise unsere letzte größere Reise ist, macht sie uns noch kostbarer!

Natürlich muss jeder seinen eigenen Weg finden, - meiner ist „Vorbereitet sein macht frei“!

Alles Gute für Dich und Fredi,
Claudia

Weil es förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen fröhlich zu sein.

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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
21 Nov 2010 09:31
  • lisa_kotschi
  • lisa_kotschis Avatar
  • 1139 Beiträge seit
    26. Okt 2009
Liebe Edith,

so vielfältig das MM im Verlauf der Erkrankung ist - denke daran es gibt viele Erkrankte, die weit über 10 Jahre hinaus leben - so vielfältig sind auch die persönlichen Betroffenheiten.

Die Diagnose ist einschneidend für beide - für den Erkrankten wie für die unmittelbaren Angehörigen, aber das "Erleben" ist unterschiedlich. Der Erkrankte kann in aller Regel aktiv (über Therapien u.ä.) entscheiden, der/die Angehörige ist "nur" begleitend und beratend. Das ruft oft ein Gefühl der Hilflosigkeit hervor. ... Aber wie Du an dem wunderbaren Beitrag von Claudia lesen kannst, wir Angehörige können auch eine Menge aktiv tun.

Ich habe meinen Mann 11 Jahre lang begleitet. ... mit allen Höhen und Tiefen, mit wunderbaren Stunden, auch Urlauben, aber eben auch Zeiten voller Ängste und Sorgen.

Keine Stunde davon möchte ich missen, es hat auch mein Leben als Angehörige sehr bereichert und unsere Beziehung hat Dimensionen erreicht, die wir im "normalen" täglichen Leben vermutlich nicht gehabt hätten. Damit will ich nichts schönreden, auch ich habe getrauert, geweint und war nicht immer die Starke.... Aber mit der Zeit gewinnt man auch Kräfte, von denen man nicht geahnt hat, dass sie in einem stecken.

Wie Claudia in ihrem Beitrag beschrieben hat, hat sie als "Managerin" ihren Weg gefunden. Vielleicht ist das auch Dein Weg... Vielleicht musst Du einen anderen finden. Überlege Dir in jedem Fall, was Dir ganz persönlich gut tut und verfolge diesen Weg. Ich z.B. habe ein Ehrenamt weiter verfolgt, das mir Kraft und Freude gegeben hat, ohne die enge Begleitung meines Mannes zu vernachlässigen.

Ich wünsche Dir alles Gute für die Suche nach Deinem Weg
Lisa

P.S. Übrigens, mein Mann und ich haben erst nach seiner Diagnose geheiratet als Zeichen unserer tiefen Verbundenheit und dem Willen, gemeinsam den nachfolgenden Weg zu gehen



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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
21 Nov 2010 11:15
  • Margret
Liebe Edith,

dem Reigen der bisherigen Antworten füge ich meine persönlichen Erfahrungen an.

Deine Eingangsfrage war ja, woran MM Patienten eigentlich sterben. Darauf will ich dir sehr offen antworten, ohne zu beschwichtigen und zu beschönigen. Ich kann dir aber nur schildern, wie es bei meinem Mann war. Es gibt so viele Formen des MM, wie es Patienten gibt...

Wer glaubt, dass ihn diese Offenheit zu sehr belastet, möge ab hier bitte einfach nicht weiterlesen.
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Das MM geriet im Frühjahr 2010 außer Kontrolle, die Werte verschlechterten sich dramatisch, das Allgemeinbefinden wurde immer schlechter. Irgendwann kamen starke Schmerzen durch einen neuen Tumor im Becken hinzu, die mit einer palliativen Strahlentherapie gelindert werden sollten, was nur teilweise gelang. Danach war uns klar, dass unsere gemeinsame Zeit überschaubar begrenzt sein würde. Wir wollten das nicht wissen und wussten es trotzdem...

Mein Mann lehnte weitere Therapieversuche ab; die Ärzte stimmten seiner Entscheidung zu und auch ich sah letztlich ein, dass wir am Ende eines langen Weges angekommen waren. Wir haben uns dann ausführlich mit Palliativmedizinern und Schmerztherapeuten über die jetzt noch bestehenden Möglichkeiten der Linderung ausgetauscht. Parallel dazu war das Rückenmark schon so stark gequetscht, dass es zur Lähmung der Beine kam. Ab diesem Punkt war an Pflege und Versorgung im eigenen Haus nicht mehr zu denken, da es die üblichen Hindernisse gab: Treppen, zu enge Türen etc. . Ich hatte noch eine zeitlang überlegt, Umbauten im Haus vornehmen zu lassen, sah aber ein, dass die Fertigstellung mehr Zeit benötigen würde, als uns noch blieb. Ich wollte die letzte Zeit intensiv mit meinem Mann verbringen, nicht mit Handwerkern auf einer Baustelle.

Mein Mann kam auf die Palliativstation der Klinik und wurde dort rd. 4 Wochen lang wunderbar versorgt, gepflegt, umsorgt, sogar verwöhnt. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass es diese Qualität der Versorgung in unserem Gesundheitssystem geben könnte und kann nur empfehlen, sich mit dem Themenbereich der Palliativmedizin vertraut zu machen. Die pflegerischen Möglichkeiten hätten wir zuhause nicht darstellen können. Die Schmerztherapie war nach einigen Tagen perfekt auf ihn eingestellt, so dass er bis zuletzt schmerzfrei war, während die Lähmung weiter fortschritt und inzwischen bis zur Brust reichte. Mir blieb viel Zeit, bei meinem Mann zu sein und die kostbaren Tage gemeinsam zu nutzen, ohne meine Kräfte in der täglichen Pflege und Versorgung zu verbrauchen. Die psychologische, therapeutische, pflegerische und seelsorgerische Begleitung auf der Station für uns beide war vorbildlich, so dass wir in Ruhe und Würde die letzten Tage miteinander verbringen konnten. Es war zwischen uns nichts mehr offen, nichts ungesagt, nichts unversöhnt. Dafür bin ich sehr dankbar. Übrigens darf auf Palliativstationen sogar miteinander gelacht werden!

Am letzten Tag kam es zum sich schnell ausbreitenden Versagen aller Organe. Mein Mann hat das nicht bewusst mitbekommen, weil aus einem Schlaf der Erschöpfung übergangslos ein Zustand tiefer Bewusstlosigkeit wurde. Es war für mich zwar furchtbar, dem Prozess des Sterbens hilflos zusehen zu müssen und dennoch ist es im Nachhinein tröstlich, dass mein Mann friedlich in meinen Armen schlafend aus dieser Welt gehen konnte.

Edith, du hast gefragt, ob während der Krankheit nicht über allem der Schatten "es könnte das letzte mal sein" liegt. Ja, das habe ich jahrelang genau so empfunden. Der Rat, jeden Tag einzeln und bewusst zu geniessen, ist zwar gut und richtig, aber in Reinkultur wohl so nicht umsetzbar. Die Angst, dass es viel zu früh zu spät sein könnte, war ab der Diagnose unser ständiger Begleiter. Bei jedem Ereignis, Geburtstage, Weihnachten etc., fragten wir uns, wie oft wir das noch zusammen erleben dürften. Unsere Beziehung ist in dieser Zeit zwar viel intensiver geworden, aber mit der ständigen Angst haben wir einfach leben müssen. Hinzu kömmt, dass die Angehörigen mehrfach belastet sind: Sie müssen bisherige Aufgaben des Kranken mit übernehmen, mit der eigenen Angst fertig werden und dem Kranken Trost, Kraft, Mut und Hoffnung geben. Seltsamerweise gelingt einem das auch. Man wächst wohl mit seinen Aufgaben...

Ich kann dir nur raten, trotz aller Belastung immer etwas Zeit für dich selbst übrig zu behalten. Eine Gelegenheit, deine inneren Akkus aufzuladen. Teil dir deine Kräfte gut ein und vertraue darauf, dass dir aus Liebe auch immer wieder neue Kräfte zuwachsen.


Ich wünsche euch beiden von Herzen alles Gute und schicke dir eine virtuelle Umarmung,

Margret Winkler


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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
21 Nov 2010 17:30
  • Beatrice
Danke Margret, dass du so nüchtern und doch liebevoll über die letzten Wochen deines Mannes geschrieben hast.
Für mich ist es eher beruhigend als belastend zu hören, dass Angehörige auch solch einer trostlosen Situation noch etwas Schönes abgewinnen können.
Ich hoffe nur, dass es in meinem Fall auch so sein wird.Ich weiss, dass meine Kinder und mein Mann teilweise bis an die Schmerzgrenze unter meiner Krankheit leiden und habe oft auch ein schlechtes Gewissen deshalb. Aber die Situation zu ändern, dazu fehlt mir der Mut.
Die Palliativstation scheint ein guter Ausweg zu sein, weil dadurch der Familie hin und wieder eine Atempause verschafft werden kann. Ich werde dies in meiner Agenda "Was, wenn " vermerken.
Dir liebe Margret wünsche ich weiterhin viel Kraft für die Zukunft,
Gruss aus Paris Beatrice

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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
21 Nov 2010 19:49
  • Almish
  • Almishs Avatar
  • 354 Beiträge seit
    23. Okt 2009
Liebe Magret,

ich möchte mich auch für deinen Bericht bedanken doch gleichzeitig zeigt er mir, wie hilflos doch beide Seiten sind. Diese Gefühle des `stark-seins- müssens`, des Trostspendens, des ´dem anderen die Angst nehmen müssen` liegen auf meiner Seite zum Beispiel auch vor.

Ich möchte nicht, das irgendjemand der mich liebt, belastet wird durch meine Erkrankung. Meiner Mutter gegenüber spiele ich meine Krankheit immer herunter. Ich denke mir immer, ich muss da alleine durch, bin ja ne Grosse;-)

Hast du mit deinem Mann je darüber gesprochen, ob er nicht ähnlich fühlt wie du? Manchmal habe ich das Gefühl, das man während des Krankheitsprozesses doch manches nicht ausspricht. Vielleicht ist das während des Sterbens anders? Ich möchte dir um Himmels willen nicht weh tun, aber es ist sehr interessant für mich, gerade diese Zeile von dir, das ihr nichts versäumt habt, auszusprechen.

Hinzu kommen noch Schuldgefühle. Wenn ich lese, wie sehr ein Angehöriger leidet unter der Situation fühle ich mich derart scheisse das ich mir denke, wenns bei mir losgeht, verschwinde ich von hier und zieh das alleine durch ( kenne wenigstens einen MMler,der das so macht ).

Vielleicht magst ja noch mal antworten und ich wünsche dir, das die Lücke vielleicht schon etwas kleiner wird.

Marion

Kopf hoch, Nase in den Wind
Das Leben stinkt

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Antwort auf Woran sterben MM-Kranke eigentlich?
21 Nov 2010 23:41
  • EdithW
Zunächst möchte ich mich ganz herzlich für alle Antworten bedanken. Auf genau diese Informationen, auf genau diese Art und Weise vermittelt, hatte ich gehofft.
Am meisten leuchtet mir Claudias Empfehlung ein, schnellstmöglich alles Wichtige zu regeln, und sich dann, wenn möglich, wieder auf das Leben an sich zu konzentrieren.
Bei uns ist das ein bisschen schwierig, weil wir uns eben noch nicht so lange kennen. Die erste Zeit wollte Fredi übehaupt nicht über die Krankheit und die möglichen Folgen reden. Er wollte ein gesunder Mann für mich sein und hat wohl aus Rücksicht viel von seinem Kummer für sich behalten. Vielleicht ist es die Aufgabe des "Managers" knifflige Dinge anzusprechen.
Beatrice beschreibt, ihr schlechtes Gewissen. Das kann ich mir so gut vorstellen und es tut mir sehr leid. Welcher Patient sagt sich schon: "Kann ich ja nichts dafür. Da müsst ihr jetzt mit mir durch."

Ich hab auch ein schlechtes Gewissen. Weil ich es nicht lassen kann mich über Dinge wie eine offene Zahnpastatube oder einen nicht heruntergeklappten Klodeckel (nur als bildliches Beispiel), zu ärgern, obwohl all diese Dinge völlig unwichtig sind. Wahrscheinlich lernt man das mit der Zeit, die man ja bei dieser Art Krebs zum Glück hat.
Ich hab mir auch mal die Vorstellung erlaubt, was wäre, wenn ich mich für ein Leben ohne Verantwortung für einen todkranken Menschen entscheiden würde, also quasi abzuhauen. (So ein Gedanke kommt einem wahrscheinlich nicht wenn man 20 Jahre mit jemandem verheiratet ist). In Wirklichkeit ist es so, dass ich es niemals jemand anderem überlassen würde, dieses Schicksal mit Fredi zu teilen, denn es ist auch ein großes Geschenk, von jemandem gebraucht und so geliebt zu werden, wie es einem gesunden Menschen vielleicht gar nicht möglich ist.
Das schreibt Lisa sehr schön:
Liebe Margret, ich danke Dir sehr für Deinen Beitrag. Es ist sehr beeindruckend und tröstend wie du über das Thema schreibst.
Ich wünsche Dir weiterhin viel Kraft

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