Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom

Arbeitsgemeinschaft Multiples Myelom (Plasmozytom, Morbus Kahler)
Online-Netzwerk für Patienten/-innen und Angehörige

Multiples Myelom - Portal der AMM-Online mit Forum, Studien und Informationen

Evolution, intraklonale Heterogenität und Multiples Myelom

Von Gareth J. Morgan, M.D, übersetzt von Sabine Schock.
vom 3. Nov. 2014


Ein wichtiges neues Konzept, das zum Verständnis des multiplen Myelom beiträgt, hat seine Ursprünge bei Charles Darwin, einem großen Wissenschaftler des neunzehnten
Jahrhunderts.

In seinen Schriften beschrieb Darwin, wie sich die Eigenschaften von Tier- und Pflanzenarten im Laufe der Zeit ändern können. Geringe Unterschiede bei den ererbten Eigenschaften innerhalb einer Art in Kombination mit Schwankungen in der Umwelt können zu bestimmten Eigenschaften führen, die vermehrt in derjenigen Umwelt vorkommen, die diese Eigenschaften bevorzugt.

Ein gutes Beispiel dafür, was Darwin beschrieben hat, ist die Vielfalt in der Schnabelgröße und -gestalt von Galápagos-Finken. Die verschiedenen Schnäbel erlauben es den Vögeln, die verschiedenen, in ihrer Umgebung befindlichen Samentypen zu essen, womit sie Spezialisten für diese Samen werden. Es ist klar, dass alle diese Vögel miteinander verwandt sind und zu der Finkenfamilie gehören; sie sind jedoch gleichzeitig auch alle Arten mit kleinen Unterschieden.

Dieser Prozess der “Anpassung” an die Umgebung führt zu einer “Evolution” der Arten, die besser für die Umgebung geeignet ist — in diesem Fall Spezialisten für einen spezifischen Samen. Die wesentlichen Eigenschaften dieses Prozesses sind genetische Besonderheiten, die vererbt werden, und ein mit der Umgebung verbundener "Selektionsprozess“.

Intraklonale Heterogenität

Es wird derzeit angenommen, dass Krebs sich ebenfalls entsprechend den von Darwin beschriebenen Grundsätzen entwickelt, die wir zu Beginn des Artikels dargelegt haben. Eine
wesentliche Eigenschaft dieses Prozesses ist eine Variabilität innerhalb der Krebszellen, die intraklonale Heterogenität (ICH) genannt wird.

ICH ist ein wichtiges neues Konzept, das anerkennt, dass nicht alle Myelomzellen identisch sind und dass ein Myelompatient bei Diagnose mindestens drei bis sechs Hauptsubpopulationen an Zellen aufweist, von denen alle verschiedene biologische Charakteristika und unterschiedliche klinische Aggressivität haben.

Unterhalb des Sensitivitätsniveaus, das für die Detektion dieser Hauptsubklone verwendet wird, gibt es wahrscheinlich noch viel mehr Variationen, die für das Auftreten von Medikamentenresistenzen und Rezidiven nach Beendigung der Behandlung verantwortlich sind.

Die Folgen der ICH erklären auch die Progression des Myeloms von einem benignen zu einem aggressiverem Tumor, weil die aggressiven Subklone die anderen beherrschen. Das
Konkurrenzverhalten der restlichen Myelomzellen bedeutet, dass sie sich auf eine darwinistische Art und Weise verhalten.

Diese Konkurrenz ist auch nach einer Therapie vorhanden, wenn die seltenen Varianten, die am besten wachsen und überleben, die Population innerhalb des Knochenmarks
beherrschen, was einem Rezidiv gleich kommt.

Wie wird die intraklonale Heterogenität in der Klinik erkannt?

Myelomexperten sehen Beweise für eine intraklonale Heterogenität auf unterschiedliche Art und Weise, wenn sie ihre Patienten behandeln und deren Fortschritte beobachten.

Man kann zum einen bildgebende Technologien verwenden, die nicht nur lytische Knochenläsionen zeigen, sondern auch das Ausmaß und die Aggressivität des Myeloms sowohl innerhalb als auch außerhalb des Knochenmarks bewerten. PET Scans und diffusionsgewichtetes MRT können beide zu diesen Zwecken verwendet werden.

Die Anwendung dieser Techniken kann verschiedene Stellen und Krankheitsaktivitäten innerhalb des Knochenmarks zeigen. Wichtig ist, dass diese Techniken häufig unterschiedliches Ansprechen auf die Behandlung an verschiedenen Körperteilen darstellen.
Das steht im Einklang mit der Anwesenheit verschiedener Subklone an verschiedenen Stellen - einige sind behandlungssensitiv und andere behandlungsresistent.

Andere Technologien können die intraklonale Heterogenität direkt zeigen. Zum Beispiel zeigen die zytogenetische und die Genexpressionsanalyse von Biopsien des Knochenmarks und fokaler Läsionen verschiedene genetische Eigenschaften an verschiedenen Biopsiestellen. Massives paralleles Sequencing kann die genetischen Unterschiede zwischen den Myelomzellen an den verschiedenen Stellen im Detail beschreiben. Es klar, dass diese Zellen verwandt sind, jedoch geringe Unterschiede aufweisen. Diese Beobachtung ist genau das, was man von einem evolutionären System erwarten würde.

Warum ist die intraklonale Heterogenität wichtig?

Die evolutionäre Natur des multiplen Myeloms ist wichtig, weil die verwandten subklonalen
Zellen, die jede auf eine geringgradig unterschiedliche Myelomstammzelle zurückzuführen
sind, um Raum innerhalb des Knochenmarks konkurrieren, um dort zu wachsen.

In diesem Zusammenhang kann eine Therapie als ein “selektiver Druck” betrachtet werden.
Sie kann die meisten subklonalen Zellen töten, aber seltene, widerstandsfähige Subklone können überleben. Und in dieser Situation hat der resistente Subklon mehr Raum zu wachsen, was zum Rezidiv führt.

Patienten und Ärzte müssen diese Aspekte des Phänomens der intraklonalen Heterogenität in Betracht ziehen, wenn sie überlegen, wie ein Myelom zu behandeln ist. Die vorhandene Diversivität bedeutet, dass es Zellsubbevölkerungen gibt, die gegen einzelne Behandlungen widerstandsfähig sind und für ein Rezidiv verantwortlich sein können.

In dieser Beziehung ist die Verwendung einer Kombinationstherapie, die eine maximale Zahl von Subklonen abtötet, eine wichtige Strategie. Solch eine Strategie ist sogar dann wichtig, wenn es einen einzelnen dominierenden Klon gibt, der nicht aggressiv ist. Dieser Klon wird wahrscheinlich das Wachstum von aggressiveren Subklonen unterdrücken, indem er den gesamten Raum im Knochenmark einnimmt. Mit einer schwachen Therapie, die nur den dominanten, weniger aggressiven Klon ins Visier nimmt, bleibt der aggressivere Subklon unbehandelt und hat mehr Raum zu wachsen und zu einem Rezidiv zu führen.

Intraklonale Heterogenität und Therapie

Eine der Schlüsselstrategien der Induktionsbehandlung für das Myelom, die sich auch mit intraklonaler Heterogenität befasst, ist der Einsatz von vielen verschiedenen Therapien in Kombination miteinander. Mit diesem Ansatz werden so viele Krebszellen wie möglich abgetötet, um so die Ausrottung von möglichst vielen Subklonen sicherzustellen, die zu einem Rezidiv führen könnten.

Die Anwendung der autologen Transplantation kann als eine Erweiterung dieses Versuchs betrachtet werden, die Anzahl der ausgerotteten Subklone zu maximieren, was zu einer kompletten Remission führt. Ähnlich ist der Einsatz der Erhaltungstherapie ein weiterer wichtiger Schritt, der zu einer Verbesserung der Ergebnisse führt. In dieser Situation kann der selektive Druck von Behandlungen das Verhalten der kleinen Anzahl restlicher Myelomzellen, die sich unterhalb des Detektionsniveaus unserer Monitortechnologie befinden, verändern.

Im Allgemeinen weisen darwinistische Entwicklungskonzepte darauf hin, dass die Behandlung mit Einzelsubstanzen nicht der beste Ansatz zur Therapie des multiplen Myeloms ist, weil es zu einem übermässigen Wachstum widerstandsfähiger Klone führen kann. Das Problem resistenter Klone könnte jedoch entweder durch den Einsatz von Kombinationstherapien oder durch die Anwendung “zyklischer” Therapien, die verschiedene Medikamentenkombinationen zu verschiedenen Zeiten abwechselnd anwenden, überwunden werden. Die Entwicklung neuer oraler und Antikörper-Myelomtherapien mit unterschiedlichen Therapieansätzen bedeutet, dass dieser Strategieansatz jetzt klinisch möglich ist.

Die intraklonale Heterogenität deutet auch an, dass Therapien einen wichtigen Beitrag zur Behandlung des multiplen Myeloms leisten können, selbst wenn sie keine bedeutenden Änderungen bei Standardkrankheitsmarkern, wie den M-Gradient eines Patienten, erzeugen.

Zum Beispiel ist ein Schlüsselpfad beim Myelom der RAS/MAPK Pfad, der oft mutiert ist und mit bestimmten Medikamenten behandelt werden kann. Mutationen im RAS/MAPK Pfad sind jedoch nicht immer in allen Myelomzellen vorhanden - wie man bei intraklonaler Heterogenität erwarten kann. Das Behandeln der Mutationen kann deshalb zu einem nur geringem Ansprechen führen, auch wenn alle Zellen mit den Mutationen getötet werden, mit potenziell bedeutenden Implikationen für die Länge der Remission.


Dezember 2014 war das 155. Jubiläum von Darwins Veröffentlichung Über die Entstehung der Arten (On the Origin of Species), die die Grundlage der modernen Evolutionsbiologie bildet. In den letzten Jahren haben Forscher gelernt, dass die Evolutionstheorie nicht nur eine grosse Rolle bei der Entstehung, sondern auch bei der Behandlung von Krebs spielt.

Diese Erkenntnisse haben wiederum zu einem besserem Verständnis der intraklonalen Heterogenität und deren Rolle beim multiplem Myelom geführt. Damit wird die Behandlung
und Überwachung der Krankheit verbessert und es gibt Hoffnung auf weitere Verbesserungen in der Prognose von Myelom-Patienten.

Gareth J. Morgan ist Director des Myeloma Institute, University of Arkansas for Medical
Sciences, Little Rock, Arkansas.
Englisches Original: Evolution, Intra-Clonal Heterogeneity, And Multiple Myeloma
© 2015 Light Knowledge Resources


 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.